Zusammenfassung:Die Schweiz könnte bereits im nächsten Jahr ein Nullzins erreichen. Getty Images/KDPDie Schweizer Na
Die Schweiz könnte bereits im nächsten Jahr ein Nullzins erreichen.
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Die Schweizer Nationalbank (SNB), senkt den Leitzins um 0,5 Prozent. Mit diesem Tempo könnte die Schweiz im kommenden Jahr den Nullzins erreichen.
Die Bankbilanz hat sich seit 2010 auf 105 Prozent der Wirtschaftsleistung mehr als verdreifacht.
Die derzeit internationalen Unstimmigkeiten lassen Anleger häufiger in den Franken investieren, wodurch dieser immer beliebter wird. Allerdings ist dieser Anstieg zu vermeiden, damit Schweizer Unternehmen in Europa wettbewerbsfähig bleiben.
Franken-Spekulanten und eine Wirtschaftsflaute setzen die Schweizer Nationalbank unter Druck. Am Donnerstag hat sie den Leitzins überraschend stark gesenkt. Zwar wollen die Zentralbanker Zinsen mit negativen Vorzeichen vermeiden – aber der Weg, der daran vorbeiführt, ist riskant.
Nullzinsen für 2025 in Aussicht
Schweizer gelten bisweilen als bedächtig, aber Martin Schlegel bricht mit dem Klischee. Der neue Präsident der Schweizer Notenbank (SNB) legt gerade ein Tempo vor, das auch an den internationalen Märkten für Aufmerksamkeit sorgt.
Am Donnerstag überraschte der Zentralbankchef bei seiner mit Spannung erwarteten ersten Zinsentscheidung mit einem großen Zinsschritt nach unten: Die SNB senkte den Leitzins um 0,5 Prozentpunkte. Mit der Entscheidung fällt der Leitzins von einem Prozent auf nur noch 0,5 Prozent. Eine Abstufung nach unten war zwar erwartet worden, die meisten Beobachter hatten jedoch mit einer kleineren Bewegung von lediglich 25 Basispunkten gerechnet.
Schlegel und seine Kollegen nähern sich damit wieder dem Nullzins. Sollte die SNB ihr aktuelles Tempo beibehalten – sie trifft anders als die EZB ihre Zinsentscheidungen nur einmal im Quartal – könnte die Schweiz bereits im kommenden Jahr bei Nullzinsen ankommen, mit allen Folgen für die Finanzmärkte.
„Im Sog der globalen geldpolitischen Lockerung erwarten wir 2025 noch weitere Zinssenkungen der SNB, um Wirtschaft und Inflation zu stützen und einer weiteren Aufwertung der Währung möglichst entgegenzuwirken, sagt Rainer Singer, leitender Volkswirt bei der österreichischen Erste-Gruppe.
Die SNB hatte nicht nur als erste Zentralbank einer wichtigen wohlhabenden Volkswirtschaft im März mit Zinssenkungen begonnen. Sie hat mit insgesamt vier Absenkungen in diesem Jahr auch die aggressivste Lockerungspolitik verfolgt. Die Zentralbanker hatten kaum eine Wahl. Die Inflation ist im November auf 0,7 Prozent gefallen und droht damit, unter den von der SNB selbst gesetzten Zielkorridor von null bis zwei Prozent zu rutschen.
Für das kommende Jahr erwarten die SNB-Experten inzwischen lediglich eine hauchdünne Inflation von 0,3 Prozent – eine Entwicklung gefährlich nah an der Deflation.
Währungs-Flucht zum starken Schweizer Franken
Hauptverantwortlich für die anämische Inflation ist der starke Schweizer Franken. Er gilt als sicherer Hafen in geopolitisch turbulenten Zeiten und die Krisen der vergangenen Monate haben Investoren und Spekulanten in die Hochsicherheitswährung getrieben und den Kurs der Währung nach oben geschraubt.
Im November erreichte der Franken gegenüber dem Euro seinen stärksten Wert seit beinahe einem Jahrzehnt. Gegenüber dem US-Dollar ist die Währung im vergangenen Jahr ebenfalls stark gestiegen – auch wenn sie gegenüber dem Dollar seit September wieder verloren hat.
Die Märkte haben erwartungsgemäß auf den überraschend deutlichen Zinsschritt vom Donnerstag reagiert. Anleger haben Franken verkauft und die Währung hat gegenüber Dollar und Euro abgewertet. Viele Beobachter gehen allerdings davon aus, dass der Zinsschritt der SNB nur eine Atempause verschafft hat. Auch nach vorangegangenen Zinssenkungen setzte der Franken seinen Aufwärtstrend in den vergangenen Monaten fort.
Die schweizer Franken befinden sich im Aufwärtstrend.
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Mehr Anleger durch internationale Unstimmigkeiten
Das internationale Umfeld bietet derzeit viel Raum für weitere Aufwertungen. Der Krieg in der Ukraine, Konflikte im Nahen Osten und die zunehmend konfrontative Beziehung zwischen den USA und China verstärken die Flucht in sichere Anlagen. Hinzu kommen die politische Unsicherheit in Berlin und Paris sowie die wirtschaftliche Schwäche im Herzen der Eurozone.
Mit der Trump-Regierung, die im Januar die Geschäfte übernimmt, drohen weitere geopolitische Verwerfungen. Sollte der designierte US-Präsident wirklich wie angekündigt sofort nach Amtsantritt das Thema Zölle vorantreiben, könnte das vermehrt Anleger in den Schweizer Franken treiben.
Das Problem: Schlegel und seinen Kollegen gehen die Optionen aus. Der Leitzins ist bereits einer der niedrigsten weltweit und die Zentralbanker wollen vermeiden, im kommenden Jahr bereits an die Nullgrenze zu stoßen oder gar negative Leitzinsen auszurufen. Möglicherweise bleibt ihr aber nichts anderes übrig. Die zweite Option, den Schweizer Franken mit Devisenkäufen zu stützen, ist nämlich unbeliebt und hat eigene Risiken.
Die Angst vor zu starken Anstieg des Franken
Dabei würde die SNB ausländische Währungen, vor allem Euro und Dollar, kaufen und in ihre Bücher nehmen, um den Franken zu schwächen. Nach dem Ausbruch der Finanz– und Euro-Krise ab 2008 griff die SNB zu ähnlichen Maßnahmen, um einen zu starken Anstieg des Franken zu verhindern.
Für die exportorientierte Schweizer Wirtschaft ist es wichtig, dass der Franken vor allem gegenüber dem Euro nicht zu stark wird. Denn die Unternehmen, die ohnehin höhere Produktionskosten haben, müssen auch mit Senkung des Leitzins, in Europa wettbewerbsfähig bleiben.
Die viele Jahre andauernden Devisenkäufe haben die Bilanz der SNB allerdings gefährlich aufgebläht. Das warnte jüngst die OECD, eine Denkfabrik vorwiegend wohlhabender Industriestaaten. Die Bankbilanz habe sich seit 2010 auf 105 Prozent der Wirtschaftsleistung mehr als verdreifacht.
SNB
„Die große Bilanz kann sehr große Verluste bringen, schrieb die OECD im März in einem Bericht und das ist nicht nur Theorie. Im Jahr 2022 machte die SNB nach kleineren Gewinnen in den Vorjahren einen Rekordverlust in Höhe von 132,5 Milliarden Franken. Das sind umgerechnet 17 Prozent der Schweizer Wirtschaftsleistung. Verantwortlich dafür waren fast ausschließlich Verluste mit den Fremdwährungspositionen.
Negativzinsen sind nicht auszuschließen
Was Interventionen am Devisenmarkt ebenfalls delikat macht: Die Zentralbanker in Bern könnten damit Donald Trump verärgern. Der kommende US-Präsident hatte die Schweiz bereits in der Vergangenheit dafür kritisiert, den Franken-Kurs durch Währungsgeschäfte künstlich niedrig zu halten.
Die SNB beharrt zwar darauf, dass sie unabhängig ist, wenn es um Währungsinterventionen geht, aber die USA sind ein lukrativer Handelspartner für die Schweiz. „Das Risiko, von der Trump-Regierung als Währungsmanipulator hingestellt zu werden, wird wahrscheinlich die Bereitschaft der SNB begrenzen, am Devisenmarkt einzugreifen“, sagt Charlotte de Montpellier, leitende Volkswirtin für die Schweiz bei der niederländischen Bank ING. „Das lässt ihr kaum noch Instrumente außer den Zinssätzen.”Vor diesem Hintergrund könnten Negativzinsen für die SNB das geringere Übel sein. Sie wäre damit die erste bedeutende Notenbank, die sich wieder in diesen Zinsbereich zurück wagt. Zwischen 2015 und 2022 waren die Leitzinsen beinahe acht Jahre lang negativ.
„Niemand mag negative Zinssätze“, sagte SNB-Präsident Schlegel am Donnerstag. „Die SNB mag negative Zinssätze auch nicht. Aber wir können zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschließen, in Zukunft bei Bedarf wieder negative Zinssätze einzuführen.” Der Notenbanker machte allerdings auch klar, dass er Negativzinsen gerne vermeiden würde. Ob ihm dieser Wunsch erfüllt wird, dürfte im März klarer sein. Dann werden die Notenbanker turnusmäßig das nächste Mal über die Zinsentwicklung entscheiden.
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